Lifecycle-Kostenoptimierung: Rechnet sich Energieeffizienz?

Ist Lifecycle-Kostenoptimierung in der Produktion tatsächlich das Zauberwort der Stunde? Diesen und weitere Ansätze diskutierten bei der ZVEI Podiumsdiskussion auf der SPS/IPC/Drives 2011 vier Experten aus Forschung und Wirtschaft. Über alle wichtigen Argumente und Ansichten informiert der folgende Beitrag.

In den Anfangstagen beschäftigte sich die Maschinen- und Anlagenautomatisierung vor allem damit, wie sie die Anzahl der produzierten Güter, also die Ausbringung, erhöhen konnte. Die wichtigste Kennzahl einer Maschine war die Ausbringung. Erst später rückte das Thema Qualität in das zentrale Blickfeld und die Qualität der produzierten Produkte wurde ebenso zu einer zentralen Automatisierungsaufgabe, wie die Ausbringung selbst. Möglicherweise steht der Maschinen- und Anlagenautomatisierung heute erneut eine Erweiterung der zentralen Aufgabenstellung bevor. Gemeint ist die neue Koordinate \’Energieeffizienz im Produktionsprozess\‘. Wird der Energie- und Ressourcenverbrauch in Zukunft ebenso selbstverständlich in der Konstruktion und Ausrüstung einer Maschine berücksichtigt, wie das heute schon hinsichtlich der Ausbringung und der Qualität der Fall ist? Um diese Frage ging es auf dem Forum des ZVEI auf der SPS/IPC/Drives 2011. Unter dem Titel \’Lifecycle-Kostenoptimierung: Hype oder rechnet sich Energieeffizienz wirklich?\‘ moderierte Kai Binder, Chefredakteur des SPS-MAGAZINs eine Podiumsdiskussion. Es diskutierten mit ihm: Walter Klug (Bereich ATG-SCS, ABB), Michael Ziesemer (COO Endress+Hauser), Rolf Panzke (Director Marketing Process Instrumentation Technologies, Siemens AG) und Dr. Eckhard Roos (Leiter Process Automation, Festo AG & Co. KG). Optimierung, aber wo? Welche Praxiserfahrungen gibt es in zwischen aus Energieeffizienzprojekten? Rolf Panzke begann mit einem interessanten Beispiel eines Siemens Kunden, der eine Raffinerie in Japan betreibt. Hier sei durch die Rückgewinnung von Kohlenwasserstoffen, die sonst verbrannt worden wären, eine äquivalente Einsparung vorgenommen worden, die jährlich ca. 7 Mio. Liter Rohöl entspräche. Wenn man bedenke, dass ein Barrel etwa 160 Liter sind und der Preis eines solchen derzeit bei 80 bis 90EUR liege, so Panzke weiter, könne man sich das Einsparpotenzial vorstellen. Michael Ziesemer unterstrich diese Erfahrungen: Im Rahmen einer ZVEI Studie für das Segment Verfahrenstechnik im deutschen Markt, sei ein Einsparpotential von 43 Mio. Tonnen CO2 Äquivalenten möglich, erläuterte er. In Geldwert gespiegelt, kann hier von 4 Mrd.EUR Einsparpotenzial ausgegangen werden. Natürlich, so Ziesemer, hänge es sehr davon ab, was die Unternehmen bereits an Effizienzmaßnahmen umgesetzt haben. Man wisse aber aus Kundenprojekten, dass Werte von 10 bis 15% an Energieeinsparungen die Regel sind. Dr. Eckhard Roos von Festo unterstrich die von Ziesemer genannten Zahlen und ergänzte einen weiteren Aspekt: Speziell im Engineering sei durch eine adäquate Dimensionierung an die wirklichen Anforderungen einer Anlage Boden gut zu machen. Er sehe hier in den einzelnen Bereichen bis zu 70% der Energieeinsparungen und bis zu 20% der Investitionseinsparungen bei bestimmten Komponenten. Betrachte man die Lifecycle-Kosten einer Maschine oder Anlage gäbe es also die verschiedensten Themen, die Optimierung sei nur eines davon, so Roos weiter. Walter Klug ergänzt mit Beispielen für bestehende Anlagentechniken: Er sehe gerade im Bereich von Druckluft- und Dampfnetzen große Einsparmöglichkeiten, da der Energieverlust durch Leckagen sehr hoch sei und Druckluft ohnehin eine der teuersten Energieformen im Produktionsprozess sei. Mit einer entsprechenden Leckageüberwachung ließen sich enorme Einsparungen erzielen. \“Es sind in einem Betrieb nachweislich 25% Verluste vermieden worden, die man bisher still schweigend ignoriert hatte\“, so Klug weiter. Dasselbe gelte für das Thema Gasnetze oder Pipelines. Leckageüberwachungen könnten hier nicht nur zu einer Energieeinsparung führen, sondern letztendlich auch unter Umweltaspekten dafür sorgen, dass Leckagen frühzeitig erkannt und abgeschottet würden. Michael Ziesemer wies in diesem Zusammenhang auf die große Bedeutung der Instandhaltung hin: \“Eine energieeffiziente Anlage ist auch immer eine Anlage die in einem guten Erhaltungszustand ist\“. Er sieht daher besonders Potenziale im Bereich der Technischen Instandhaltung. Sparen beginnt beim Messen Wie können Unternehmen einen einfachen und schnellen Einstieg schaffen? \“Mit Energiemonitoring fängt vieles in diesem Bereich an\“, erläuterte Michael Ziesemer von E+H. Die Unternehmen sollten sich zunächst ein Bild machen, wo sie hinsichtlich der Energieeffizienz gerade stehen. Es gehörten neben der Produktion auch Gebäude, Beleuchtungen und die Beheizung zum Gesamtbild, so Ziesemer. Die Voraussage sei deutlich: Alleine durch die Messung der Energieverbräuche können 3 bis 5% eingespart werden, da ein Bewusstsein im Unternehmen geschaffen wird. Ein komplettes Monitoring über die gesamten Werke ist wichtig für den Anwender und – da sind sich die Experten einig – der erste Schritt in Richtung Energieeffizienz. \“Schon allein die Sichtbarkeit und die Transparenz der Verbräuche weckt automatisch das Bewusstsein, sowie Verfahren und Prozesse aus den einzelnen Betrieben in der Instandhaltung, aus der Verfahrenstechnik heraus.\“ \“Schaff eine Transparenz und 3 bis 5% sind automatisch durch einfache Verfahrensanweisungen gesichert\“, so Klug wörtlich. \“Leider sind es noch viele Unternehmen, die noch kein werksübergreifendes Energiemonitoring betreiben.\“ Die Hersteller und zum Teil der ZVEI stellen aber entsprechende Tools, Werkzeuge und Beratung zur Verfügung, um hier Maßnahmen zu ergreifen. Einfache Sparmaßnahmen nutzen Einen einfachen Einstieg in Energieeffizienzmaßnahmen beträfen besonders den Einsatz von energiesparenden Motoren, die zwar in der Investition teurer seien, jedoch Einsparungen über den Lifecycle herbeiführen würden, erläuterte Eckhard Roos von Festo. Dies seien, nach seinem Verständnis echte \’low hanging fruits\‘, man sehe hier aber eine gewisse Nicht-Akzeptanz am Markt, einen Unwillen die eingetretenen Pfade zu verlassen, aus Gründen der Ersatzteilhaltung etc. Hier müsse die Awareness deutlich geschärft werden, denn hier seien wirklich sehr leicht Einsparungen zu erzielen, die sich in kürzester Zeit amortisieren. Wer ist Chef der Energieeffizienzmaßnahmen im Unternehmen? \“Für die Verfahrentechnik kann ich dies relativ klar beantworten: Das Thema \’Energieeffizienz\‘ ist heute bei unseren Kunden auf der Vorstandsebene angesiedelt und das unterstreicht natürlich, welche Bedeutung dem beigemessen wird\“, erläutert Michael Ziesemer. Natürlich würde dies aber auch heruntergebrochen auf die jeweiligen Bereiche wie Instandhaltung, Operation und den Betrieb der Anlage. So könne man sagen, dass bei den großen Kunden von Endress+Hauser das Thema organisatorisch durch alle Hierarchien der Betriebe aufgestellt sei. Walter Klug, ABB, ergänzt, dass es nun in vielen Unternehmen einen am Vorstand verankerten Energieberater gäbe, in der Funktion ähnlich der eines Qualitäts- oder Sicherheitsberaters. Die Awareness sei definitiv in der Industrie und der Verfahrenstechnik gegeben, dies sei nicht zuletzt an den Veröffentlichungen und dem Agieren der Verbände zu sehen. In Summe sähe er die Möglichkeit eines Energiepasses für Anlagen, als eine gute Idee. Klug spricht hier von einer Art kontinuierlichem Qualitätssiegel, welches man einführen könne. \“Das permanente Betrachten von Energiekosten für Neuprojekte, über den Lifecycle hin, ist ein Thema, das weiterhin gefördert und verbreitet werden sollte.\“ Öffentlicher Bereich hinkt der Entwicklung hinterher Mit der Energiewende sollten die öffentlichen Bereiche in Deutschland Vorbildfunktion für Energieeffizienz einnehmen. Was hat sich hier bisher getan? In der Industrie sei es einfach: Hier würden Investitionen nach dem ROI betrachtet, so Dr. Roos. Bei den Kommunen jedoch, hier meist Anlagen für die Wasserver- und Entsorgung, ständen Investitionen mit anderen Projekten in direkter Konkurrenz. Entscheidungen werden hier also nicht ausschließlich nach den wirtschaftlichen Gesichtspunkten der Betriebe getroffen, sondern auch nach politischen. Dass gerade im öffentlichen Bereich von einer niedrig gelagerten Investitionsbereitschaft gesprochen werden kann, weiß auch Herr Ziesemer zu berichten. Seine Firma sei sehr stark im Bereich Wasser- und Abwassertechnik vertreten, der sich im Wesentlichen durch öffentliche Betreiber und auch öffentliche Auftraggeber repräsentiere. Er sehe keine Vorbildfunktion, dass Gegenteil sei sogar der Fall. Mit einer verbesserten Messtechnik, z.B. in Kläranlagen, könne man 15%, bei älteren Anlagen bis zu 25% des gesamten Energieverbrauchs einer solchen Anlage einsparen. Die chemische Industrie sei hier weitaus besser aufgestellt, der öffentliche Bereich hinke dagegen in der Entwicklung hinterher, so Ziesemer. ZVEI Tool Der ZVEI hat in einem Arbeitskreis ein Tool entwickelt, mit dem Kosten und Nutzen von Energieeffizienzmaßnahmen bereits im Vorfeld ermittelt und verglichen werden können. Was das Tool kann und wem es nützt, erklärt Michael Ziesemer: \“Irgendwann kommt die Stunde der Wahrheit und man will wissen, was die Maßnahme für die Betriebswirtschaft des Unternehmens bedeutet\“. Hier müsse man die Lösungen betriebswirtschaftlich miteinander vergleichen und dies sei, so wisse man aus Erfahrungen, oftmals ein Hindernis wenn es darum ginge energieeffiziente Technik einzusetzen, klärt Ziesemer auf. Die energiesparende Technik sei im Anschaffungspreis häufig etwas teurer, z.B. regelbare Antriebe oder Energiesparmotoren. Das Kriterium des Vergleichs seien also die Lebenszykluskosten. \“Das ist eine komplexe betriebswirtschaftliche Rechnung und da hapert es häufig\“, sagt Ziesemer. Man hätte sich in einem Verbund aus Firmen (u.a. alle Podiumsteilnehmer) zusammen getan und das Projekt unter dem Dach des ZVEI gestartet. Als Partner für die betriebswirtschaftlichen Abläufe sei die Firma Deloitte dabei. Man hat in dem Arbeitskreis Rechenmodell entwickelt, mit dem sich zwei Projekte, also Motoren oder auch komplette Anlagen, nach Kriterien der Lifecycle-Kosten vergleichen lassen. Das Ganze ist in einem Excel-Tool implementiert worden, das Anwendern kostenfrei zur Verfügung steht. Nach Eingabe der Parameter seiner Effizienzmaßnahmen, das sind z.B. die Energiepreise und der Zinssatz für Kapitalaufwendungen, berechnet das Tool komplett die Lebenszykluskosten für das Projekt A und das Projekt B und bietet dem Anwender somit eine Entscheidungsgrundlage. \“Das Interesse ist groß, das Tool ist bis heute (Stand November 2011) über 7.000 Mal von der ZVEI-Website heruntergeladen worden\“. \“Es ist wie gesagt ein betriebswirtschaftliches Tool, es ist nicht ein Tool für einen technischen Vergleich zwischen Motor A und Motor B\“, ergänzt Walter Klug. \“Es ist für komplette Invest-Projekte aber auch für Modernisierungen, wenn ich ganz bestimmte Teile vergleichen möchte, weil ich etwas modernisieren möchte\“. Es helfe aber auch sehr gut wenn man Investitionen im eigenen Hause beantragen müsse, man könne hier die Amortisationen über den Lifecycle darstellen, so Klug. \“Viele Informationen des Berechnungsmodells, sind durch Pilotanlagen empirisch ermittelt worden\“, erklärt Rolf Panzke zum Aufbau des Berechnungs-Tools. Der Anwender müsse kein Spezialist zur Nutzung des Tools sein, \“es reduziert den Einarbeitungsaufwand in die Materie, auf der anderen Seite gibt es Sicherheit, dass das was dort miteinander verglichen wird, den technischen Standards bzw. den wirtschaftlichen Standards, gerecht wird.\“ Fazit

Thema: Allgemein
Ausgabe:
TeDo Verlag GmbH

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