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Interview mit Machineering-Geschäftleitung zu iPhysics

Potenzial moderner Simulation im Maschinen- und Anlagenbau

Welche Vorteile bieten moderne Simulationslösungen im Maschinen- und Anlagenbau? Wer profitiert von virtueller Inbetriebnahme und wer vom digitalen Zwilling? Und was benötigt der Anwender außer der passenden Softwareumgebung? Darüber hat das SPS-MAGAZIN mit den Geschäftsführern von Machineering, Beate Freyer und Dr. Georg Wünsch gesprochen.

In der Automatisierungstechnik fallen heute sehr oft die Begriffe Simulation, digitaler Zwilling und virtuelle Inbetriebnahme? Geht es da eigentlich immer um das Gleiche, Herr Wünsch?

Georg Wünsch: Nicht, wenn man genau hinsieht. Moderne Simulationssoftware wie unser iPhysics bildet die Grundlage für die anderen beiden Ansätze. Erstmal braucht man ein Simulationsmodell einer Maschine oder Anlage. Wenn das – um den Steuerungscode ergänzt – gut funktioniert, kann der Anwender damit die Anlage virtuell in Betrieb nehmen, also bevor sie in echt aufgebaut wird. Dabei kann er verschiedene Optionen einfach ausprobieren und die verbaute Technik bestmöglich auslegen. Der Digital Twin kommt als letztes. Denn im Grunde kann es einen Zwilling ja erst geben, wenn die reale Anlage bereits existiert.

Das klingt sehr theoretisch.

Wünsch: Mag sein, aber es gibt elementare Unterschiede. Die Simulation der Anwendung und die virtuelle Inbetriebnahme liegen ganz klar im Kompetenzbereich des Maschinen- bzw. Anlagenbauers. Hier generiert er sowohl Vorteile für sein Engineering als auch Mehrwert für seine Kunden. Der digitale Zwilling muss hingegen eine Forderung des Betreibers sein, um über die virtuelle Kopie der Maschine Daten aus deren Betrieb abzurufen. Der einfachste Ansatz, der sogenannte Digital Shadow, ist lediglich ein 2D- oder 3D-Abbild der Maschine, um unabhängig vom Ort auf Informationen zugreifen zu können. Dieses Abbild lässt sich aber mit vielen verschiedenen Features anreichern. Auf diese Weise tritt der Digital Twin aus der reinen Visualisierungsfunktion heraus, z.B. in Richtung Analytics oder Predictive Maintenance, und erhält seine eigentliche Rolle: Er bildet mit unterstützenden Daten, Berechnungen oder Vorhersagen das Fundament für betriebsrelevante Entscheidungen.

Beate Freyer: Darin verbergen sich riesige Chancen und deswegen wird der digitale Zwilling von Fabrikbetreibern immer mehr gefordert, bisher aber nur in den wenigsten Fällen wirklich performant umgesetzt. Denn das ganzheitliche Potenzial der Simulation und den Benefit, den man Endanwendern so bieten kann, sehen heute noch die wenigsten Maschinenbauer. Stattdessen steht die virtuelle Inbetriebnahme im Vordergrund. Die Vorteile der Simulation beginnen jedoch schon viel früher.

Was heißt das genau?

Freyer: Um eine Maschine zu entwickeln und in Betrieb zu nehmen, müssen ja viele verschiedene Seiten zusammenarbeiten. Den ersten Schritt geht der Vertrieb, der dem Kunden eine passende Lösung verkaufen will. Werden früh in der Spezifikation nicht alle Aspekte berücksichtigt, kommt es später schnell zu Fehlern und Mehrkosten. Mit einem Simulationsmodell – und sei es nur ein erster Entwurf – lassen sich hier schon viele Schwierigkeiten und Missverständnisse vermeiden. Eine zweite bedeutende Phase ist die Projektierung, in der die Prozesse und Taktzeiten sowie die dafür passende Maschinenstruktur definiert und durchgeplant werden.

Wünsch: Mit der Simulation kommt man schnell zu einem Ergebnis, das recht belastbar ist. Damit lässt sich gegenüber dem Kunden gut belegen, dass seine Anforderungen wie gewünscht umsetzbar sind. Die Details werden dann im Laufe der weiteren Projektierung peu á peu ergänzt. Das läuft auf dem klassischen Weg ganz anders.

Nämlich wie?

Wünsch: Ohne Simulation stellt man ja erst während des Aufbaus der Anlage fest, was in der Praxis nicht wie geplant funktioniert – das macht es deutlich komplizierter und hektischer. Mit der virtuellen Inbetriebnahme hingegen kann man bereits parallel zur Konstruktion das Steuerungsprogramm erstellen und testen. Die Wechselwirkung von mechanischer Konstruktion und Steuerungsprogrammierung werden mit iPhysics unmittelbar sichtbar. Fehler oder Abweichungen lassen sich somit effizient und schnell ausräumen.

Freyer: Unter diesem Gesichtspunkt lösen wir mit unserer Simulationssoftware sogar ein soziales Problem, weil wir alle beteiligten Seiten früher an einen Tisch bringen und dadurch spätere Streitigkeiten vermeiden – zwischen Kunde und Lieferant genauso wie zwischen verschiedenen Abteilungen des Maschinenbauers. Das geht aber nur, wenn sich alle Seiten darauf einlassen und das Spiel mitspielen. Dann lässt sich die Kundenbeziehung verbessern, viel Zeit sparen und die Qualität erhöhen – vorausgesetzt, dass die Organisation beim Maschinenbauer die neuen Vorgehensweisen überhaupt erlaubt.

Es reicht also nicht, einfach nur iPhysics zu kaufen.

Wünsch: Nein. Simulation muss sehr weit gedacht werden. Es gilt, alle bestehenden Prozesse und Strukturen auf den Prüfstand zu stellen und das Thema aus dem Management aktiv voranzubringen. Unsere Projekte mit Automobilherstellern zeigen in der Regel sehr gut, wie man in Sachen Simulation ganzheitlich vorgeht. Das ist dann durchaus anspruchsvoll, selbst für die beteiligten Lieferanten und Partner, aber auch für mittelständische Unternehmen, zu stemmen.

Freyer: Simulation geht an dieser Stelle fließend ins Projektmanagement über, in dem man die Roadmap aufsetzt, den Fortschritt des Projekts dokumentiert und entsprechende Meilensteine kontrolliert bzw. abhakt. Dabei lassen sich das Maschinenlayout oder die Steuerungsprojektierung aus der Simulationsumgebung ausgezeichnet nutzen. iPhysics sollte also am besten parallel zu den verschiedenen Schritten im Projektmanagement mitlaufen.

Wünsch: Darüber hinaus kommt es immer gut beim Kunden an, wenn man in einer frühen Projektphase nicht nur zeigen kann, wie die Maschine später aussehen wird, sondern auch wie sie funktioniert und sich bewegt. Dass sich das weit ausreizen lässt, zeigt das Beispiel eines Pharmaproduzenten. Dessen Maschinenbauer hatte, um ihn von einem neuen Automationskonzept zu überzeugen, in iPhysics innerhalb von zwei Wochen ein komplett bewegliches 3D-Modell erstellt. Vor Ort beim Kunden unterstrichen wurde das Funktionsprinzip dann sogar noch mit einer VR-Brille. Das ist natürlich Vertriebsunterstützung par excellence. Kurzum: Je früher man in einem Projekt mit der Simulation startet, desto größer ist deren Potenzial.

Wie viel an Zeit und Kosten lässt sich denn mit den Methoden der Simulation konkret einsparen?

Wünsch: Das kommt natürlich immer auf die Anwendung an. Fest steht: Die Kosten für unsere Simulationssoftware sind typischerweise um ein vielfaches niedriger, als die Kosten, die sich durch ihren Einsatz einsparen lassen. Der Return of Invest liegt üblicherweise zwischen drei und sechs Monaten. Aber wie bereits gesagt: Für Einsparungen auf Zeit- und Kostenseite ist nicht allein iPhysics entscheidend, sondern wie Anwender ihre Vorgehensweisen und Strukturen auf die Möglichkeiten der Software ausrichten.

Freyer: Im ersten Schritt steigt der Aufwand sogar: Denn der Anwender benötigt ja Mitarbeiter, die sich so weit mit der Software auskennen, dass sie dem Vertrieb, den Projektierern, den SPS-Programmierern und den Technikern bei der Inbetriebnahme zuarbeiten können. Wir schlagen unseren Kunden meist vor, zwei Leute mit dem Thema Simulation zu betreuen und in iPhysics auszubilden. Wenn man das inklusive der Software-Kosten auf drei Jahre rechnet, landet man bei rund 700.000 Euro. Dem gegenüber stehen Kunden, die pro Jahr auf Kostenersparnisse im siebenstelligen Bereich kommen – durch den Einsatz von iPhysics.

Wünsch: Letztlich ist Simulation Übungssache. Während das erste Projekt oft beschwerlich oder mühsam in der Umsetzung ist, tun sich die Anwender bei Folgeprojekten schon deutlich leichter. Und wer sich erst einmal an die neue Herangehensweise gewöhnt hat, kann sich ein Projekt ohne iPhysics kaum noch vorstellen.

Wie lange begleiten Sie die Veränderungen beim Kunden, die aus der Einführung der Simulation resultieren?

Wünsch: Leider oft nicht so lange, wie es am besten wäre. Denn eine langfristige Beratung lässt sich nicht allein über den Kaufpreis der Software finanzieren. Dennoch bieten wir nach der Integration von iPhysics natürlich weitere Services oder Machbarkeitsanalysen an. Am wichtigsten ist es für uns aber, vor der Entscheidung für unsere Software möglichst intensiv mit dem Kunden über seine Pläne und Prozesse sowie das zu schöpfende Potenzial zu diskutieren.

Freyer: Als Daumenwert gilt: Mit wenig Aufwand lässt sich durch Simulation schon einiges erreichen. Mit viel Aufwand aber nochmals ungleich mehr. Maschinenbauer, die sich erfolgreich in Richtung Simulation, virtuelle Inbetriebnahme und digitaler Zwilling bewegen wollen, benötigen ein gewisses Budget. Wie groß das konkret sein sollte, dazu informiert eine unabhängige Richtlinie vom VDMA. Der Preis unserer Software ist davon nur ein überschaubarer Teil.

Wünsch: Um es nochmal auf den Punkt zu bringen: Von modernen Simulationsmethoden und dem digitalen Zwilling können Maschinen- und Anlagenbauer enorm profitieren – schon jetzt und in Zukunft noch viel mehr. Deswegen halte ich es für grob fahrlässig, sich heute überhaupt nicht mit dem Thema auseinanderzusetzen.

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