PLCnext:

Steuerungsplattform für eine sich ändernde Welt

Auf der SPS IPC Drives 2016 hat Phoenix Contact mit der PLCnext Technology der breiten Öffentlichkeit erstmals seine neue Steuerungsgeneration vorgestellt. Was auf den ersten Blick als neue Steuerungsplattform erscheint, entpuppt sich auf den zweiten Blick als völlig neues Steuerungskonzept, bei dem Offenheit ganz oben auf der Entwicklungsagenda stand. Mit Hans-Jürgen Koch, Executive Vice President der Business Area Industry Management & Automation, und Holger Meyer, Head of Control Systems Marketing, sprachen wir über das neue Konzept und die Anforderungen, die eine sich ändernde Welt für moderne Steuerungstechnik mit sich bringt.

Seit wann gibt es die PLCnext Technology und was kann man sich darunter vorstellen?

Koch: Auf der SPS IPC Drives 2016 haben wir die PLCnext Technololgy das erste Mal dem breiten Publikum vorgestellt. Bei der PLCnext Technology handelt es sich weniger um ein Produkt als um eine Technologie, die diverse neue Aspekte in die Steuerung bringt. Ein Hauptaspekt der PLCnext Technology ist natürlich die Offenheit.

Welche Hardware kommt mit der PLCnext Technology zum Einsatz?

Koch: Das erste Target, das wir vorgestellt haben, basiert auf einem Cyclon V-FPGA, in dem zwei ARM-9-Kerne eingebettet sind, die mit jeweils 800 Megaherz getaktet sind. Demnächst werden weitere Targets folgen, auf denen dann ein Intel i5-Prozessor verbaut ist. Die verbauten Prozessoren spielen allerdings aus meiner Sicht eine untergeordnete Rolle. Die Differenzierung ist das Thema Funktionalität und Adaptierbarkeit.

Was ist das Besondere an der PLCnext Technology und welches Alleinstellungsmerkmal würden Sie bei dem System sehen?

Meyer: In der Vergangenheit war es so, dass die IEC61131-Laufzeitumgebung das führende System darstellte. Hier wurde der Determinismus sichergestellt. Man konnte in dem IEC61131-Kern auch Hochsprachen-Code implementieren. Das machen viele Wettbewerber heute so, und solche Lösungen laufen auch bei uns bereits seit Jahren. Damit bieten wir Anwendern seit Langem die Möglichkeiten, beispielsweise C#-Code zu implementieren, und es gab auch eine C-Schnittstelle. Das Neue an der PLCnext Technology ist, dass wir Anwender jetzt nicht mehr zwingen, die IEC61131-Umgebung zu benutzen. Das ist eine Option geworden. Wir können nun neben dem IEC61131-Kern beliebigen Hochsprachencode laufen lassen. Das könnte man so weit treiben, dass man komplett auf IEC61131-Sprachen verzichtet. Etwas Vergleichbares haben wir bisher am Markt nicht gefunden. Die PLCnext Technology ist in dieser Hinsicht einzigartig.

Ist das langfristig gesehen der Ausstieg von Phoenix Contact aus der IEC61131-Programmierwelt?

Koch: Nein, keinesfalls! Wichtig ist zu verstehen, dass der klassische SPS-Programmierer mit der PLCnext Technology ganz normal programmieren kann wie sonst auch. Die Echtzeitfähigkeit, Robustheit, das Anlaufverhalten usw. sind identisch mit einer klassischen Steuerung. Wir nehmen all diese Vorteile aus einer klassischen geschlossenen Welt und öffnen sie, ohne diese Stabilität anzutasten, für Anwender, die gerne – entweder ergänzend oder eben auch ausschließlich – andere Tools verwenden möchten. Wir übertragen also vielmehr die Prinzipien und Tugenden der klassischen Steuerungswelt in die Welt der Hochsprachenprogrammierung, sodass wir beide Welten auf die beste Art und Weise vereinen.

Warum war aus Ihrer Sicht die Zeit reif für ein solch neues Steuerungskonzept wie die PLCnext Technology?

Meyer: Die Klientel der Programmierer verändert sich – genauso wie wir auch. Das Thema IEC61131 wird zwar weiterhin gelehrt und ist im Bereich der Maschinensteuerung noch dominant, aber längst nicht mehr alleine zielführend. Die Community rund um den Raspberry Pi zeigt doch sehr deutlich, wie die Leute heute programmieren. Dabei spielen die IEC61131-Programmiersprachen eigentlich keine Rolle. Es gibt viele junge Programmierer, die aus anderen Technologierichtungen kommen und diese auch nutzen möchten. Mit der PLCnext Technology öffnen wir Automatisierungsprogrammierung auch für nachfolgende Generationen. PLCnext beherrscht dieses Task-Handling optimal. Weil sie auf einem Linux-Betriebssystem aufsetzt, kann man zusätzliche Anwendungen einmal im deterministischen Bereich, allerdings auch im nicht-deterministischen Bereich, dazu ergänzen. Das bedeutet eine höhere Flexibilität und damit eine bessere Adaptierbarkeit.

Was ist an der PLCnext Technology so anders als an anderen Steuerungskonzepten?

Meyer: Wir sehen einen klaren Trend in Richtung Hochsprachen. In diesem Umfeld sind Tools wie Eclipse und Microsoft Visual Studio sowie Linux als Betriebssysteme ein wichtiges Thema. Das sind keine Tools, die von uns kommen, wir haben jedoch eine Klientel, von der die Möglichkeiten, mit diesen Tools arbeiten zu können, besonders geschätzt wird. Weil die PLCnext Technology als offene Plattform entwickelt wurde, können unsere Kunden in ihrer gewohnten Engineering-Umgebung programmieren. Das vermeidet Fehler in der Programmierung und beschleunigt das Engineering. Dabei ist es gleichgültig, ob sie sich für Open Source-Umgebungen wie Eclipse und Linux entscheiden oder lieber mit Microsoft-Tools arbeiten.

Welchen Vorteil sehen Sie in konkreten Anwendungen mit der PLCnext Technology?

Koch: Wir haben viele Projekte im Bereich Infrastruktur, das heißt Verkehrsinfrastruktur, Tunnel, Wasser/Abwasser usw. Dort kommen unterschiedlichste Anforderungen und Softwarepakete zusammen, die im Kontext eines Automatisierungssystems laufen müssen. Hier sehen wir klare Vorteile mit der PLCnext Technology. Heute ist es zudem in vielen Anwendungen notwendig, beispielsweise in der Windkraftbranche, dass man Matlab Simulink verwendet. Matlab Simulink ist ja DAS Tool für Modelbased-Design. In der Vergangenheit wurde daher aus Matlab Simulink C-Code erzeugt, der dann in das IEC61131-Programmiersystem integriert werden musste. Mit unserem PLCnext ist es nun möglich, mit Matlab direkt auf dem End-Target zu programmieren. Der besondere Clou ist allerdings die Tatsache, dass man auch mit mehreren Entwicklern und unterschiedlichen Pragrammiertools gleichzeitig an dem Target arbeiten kann. Das heißt also, wenn man beispielsweise drei verschiedene User hätte, könnten alle Anwender zur gleichen Zeit auf dem Target arbeiten, weil sich die Programme, die auf dem Target laufen, nicht behindern. Dabei kann jeder der User in seiner präferierten Sprache programmieren: Der eine in IEC61131, der andere in C und der dritte beispielsweise in Matlab Simulink.

Sind die Hochsprachen-Tasks ebenso echtzeitfähig und deterministisch wie ich es aus meiner klassischen Steuerungswelt gewohnt bin?

Meyer: Wenn ich mit der PLCnext Technology programmiere, will heißen die entsprechenden APIs verwende, dann sorgt die intelligente smarte Middleware, für den Determinismus. Die entsprechenden Aktionen werden somit immer zum gleichen Zeitpunkt aufgerufen. Diesen Zwangszyklus, den eine SPS von Haus aus bietet, liefern wir jetzt automatisch, auch den Hochsprachenprogrammierern, ohne dass diese dafür etwas programmieren müssten. Und das ist der Vorteil des ganzen Systems: Ich profitiere sofort von den Mechanismen eines IEC61131-Systems, ohne etwas tun zu müssen. Das ist für einen Hochsprachenprogrammierer natürlich gerade dann besonders praktisch, wenn er die Verbindung von offener Programmierung mit Steuerungstechnik deterministisch nutzen möchte.

Hochsprachenprogrammierung kommt ja schon jetzt in der Automatisierungswelt häufiger zum Einsatz. Was ist das Besondere bei der Implementierung in die PLCnext Technology?

Meyer: In der Tat: In vielen Anwendungen kommen bereits Hochsprachenprogramme in Automatisierungsapplikationen zum Einsatz. Das war bis heute jedoch mit eklatanten Nachteilen verbunden. Zunächst benötigte man häufig zwei Hardwarebausteine, in der Regel eine SPS und einen (Embedded-)PC. Beide hatten eine unterschiedliche Entwicklungsumgebung und eine völlig andere Konzeption. Auch die Synchronisation mit dem Echtzeitverhalten der SPS war nicht gerade trivial. Diese Probleme haben wir mit der PLCnext Technology gelöst. Damit haben Anwender jetzt die Möglichkeit, beides auf einem Target und mit einer Architektur zu integrieren und sparen dabei zusätzlich noch Hardwarekosten ein. Dieses Geld können sie in eine deutlich leistungsfähigere und damit zukunftssicherere Plattform investieren. Zudem entfällt der Umweg der Daten über Feldbusse und damit weitere Komponenten und mögliche Fehlerquellen.

Wie verhindern Sie, dass es sich widersprechende Programmierungen der unterschiedlichen Tasks gibt?

Meyer: Dafür, dass von den unterschiedlichen Tasks keine sich widersprechenden Anweisungen ausgeführt werden, ist unser Global Data Space zuständig. Das ist ein globaler Namensraum auf der Steuerung, in dem alle Variablen enthalten sind, sowohl die IEC61131-Variablen, als auch die Variablen aus den anderen Programmierwerkzeugen, die letzlich in C-Code vorliegen. Diese Tasks kann der Nutzer nun mittels dieser Variablen miteinander interagieren lassen. Wenn er die PLCnext Technology nutzt, sorgt das Global Data Space dafür, dass genau diese Interaktion der Variablen in den unterschiedlichen Bereichen auch entsprechend funktioniert. Auf jeder Variablen liegt ein sogenanntes Rechtemanagement, sodass jeder einzelnen Applikation zugewiesen ist, welche Rechte sie auf welcher Variablen besitzt.

Welche Möglichkeiten ergeben sich für die Steuerungstechnik durch die Öffnung der Plattform sonst noch?

Koch: Bisher haben wir ja nur über die Art der Programmierung gesprochen. Es stellt sich jedoch die Frage, welche zusätzliche Konnektivität ich mit der neuen Architektur aufbauen kann. Kombiniere ich die Offenheit der Steuerungswelt beispielsweise mit der Proficloud von Phoenix Contact, dann ergeben sich völlig neue Automatisierungsansätze. Die Proficloud eröffnet Potenziale und Freiräume für neue Geschäftsideen. Zudem ist die Proficloud der Ort, an dem der Anwender die Funktionalität und die Konnektivität der Steuerung erheblich ausweiten kann. Aufgrund der modularen Architektur unserer Steuerungslösung können wir Anwendern hierüber bestimmte Services, wir nennen sie auch Apps oder Programs, auf dieser Plattform zur Verfügung stellen. Anwender können sich über diesen Weg Funktionalitäten nachladen und damit viel Entwicklungszeit einsparen. Das werden wir sowohl für den IEC61131-Teil als auch im Hochsprachenbereich unterstützen. Über die einzelnen Funktionsmodule hinaus werden wir hier ebenfalls branchenspezifische Lösungen anbieten.

Phoenix Contact Deutschland GmbH
http://www.phoenixcontact.com

Das könnte Sie auch Interessieren

Weitere Beiträge

Bild: ISW der Universität Stuttgart
Bild: ISW der Universität Stuttgart
Domänenspezifische Sprache

Domänenspezifische Sprache

Ein grundlegender Baustein zur Flexibilisierung von Automatisierungssystemen aus Softwaresicht sind modulare, virtualisierte Echtzeitarchitekturen, die als verteilte Echtzeitsysteme realisiert werden. Um Entwickler in die Lage zu versetzen, robuste Systeme hinsichtlich der Echtzeiteigenschaften zu entwerfen und zu verwalten, wurde am ISW der Universität Stuttgart auf Basis einer domänenspezifischen Sprache ein Werkzeug entwickelt, das die Analyse des Echtzeitverhaltens sowie die automatisierte Echtzeitorchestrierung Container-basierter Steuerungsanwendungen mit Kubernetes und Docker-Compose erlaubt.

mehr lesen