Fitnesskur für Füllanlagen

Mit durchgängig neuer Automatisierung zurück zu stabilen Prozessen, hoher Verfügbarkeit und Zukunftssicherheit
Mit einem Retrofit der Automatisierungstechnik hat ein deutscher Automobilhersteller das Befüllen (der Pkw) mit Kältemittel wieder auf eine zukunftssichere Basis gestellt. Auch weil die Zeit dafür extrem knapp war, hat er sich für durchgängige, aufeinander abgestimmte Steuerungs- und Antriebstechnik aus einer Hand entschieden.

Eine nicht mehr im gewünschten Maß gesicherte Ersatzteilversorgung hatte die Volkswagen AG im Stammwerk Wolfsburg dazu veranlasst, die Automatisierung von fünf Befüllanlagen für Kältemittel in der Montage (Bild 1) komplett zu erneuern, diese wieder auf einen zukunftssicheren Stand zu bringen und die Anlagenverfügbarkeit zu erhöhen. Für den Umbau der Anlage stand nur ein dreiwöchiger produktionsfreier Zeitraum zur Verfügung. Er musste deshalb entsprechend vorbereitet und exakt geplant werden. Die Verantwortlichen wollten kein Risiko eingehen und Schnittstellenprobleme unter allen Umständen vermeiden, um den termingerechten Wiederanlauf nicht zu gefährden. Sie wollten daher nur bekannte, aufeinander abgestimmte Komponenten aus einer Hand einsetzen. Bei der Planung vertraute man von Anfang an auf eine Lösung aus dem Portfolio von Siemens und auf den Systemgedanken von Totally Integrated Automation. Im Rahmen des Retrofit-Projekts sollten

  • die veraltete Steuerungstechnik
  • die Vernetzung im Feld und die Anbindung nach oben
  • die Antriebe (Frequenzumrichter)
  • die sicherheitstechnischen Einrichtungen und
  • die Visualisierungen

von fünf separat im Gleichlauf mit der Montagelinie mitfahrenden Befüllanlagen ersetzt und termingerecht (in den Werksferien) wieder in Betrieb genommen werden. Unterstützt durch die lokale Fachberatung des Anbieters wurden die Aufgaben und Anforderungen exakt definiert und geeignete Komponenten dafür spezifiziert.

Komplettpaket aus einem Guss

Kopf der neu entwickelten Automatisierungslösung ist eine (speicherprogrammierbare) Steuerung Simatic S7-300, mit fehlersicherer CPU S7-319F-3 PN/DP zur Steuerung sämtlicher Abläufe – einschließlich aller sicherheitsgerichteter Aufgaben des Gesamtsystems. Die in einem neuen Schaltschrankfeld installierte Steuerung kommuniziert über Profinet und Interface-Module IM153-4 PN mit dezentralen Peripheriebaugruppen aus dem Simatic-ET200M-Spektrum. Die sicherheitsrelevanten ET200S-Komponenten und die HMI-Geräte in den mitfahrenden Konsolen/Bedienpulten sind über das Pendant IM151-3 PN HF (High Feature) angebunden. Dank standardisierter, vorkonfektionierter Frontsteckeradapter für die Signalumsetzung von der bisher eingesetzten Simatic S5 auf Simatic S7 konnte der Neuverdrahtungsaufwand stark reduziert und viel Zeit eingespart werden. Nach oben ist die Kopfsteuerung über einen zusätzlichen Kommunikationsprozessor CP343-1 Advanced an das Werksnetz angebunden, worüber Auftrags-, Prozess- und (Fern-)Wartungsdaten übertragen werden. Die sicherheitsgerichtete Kommunikation in der Feldebene wird über Profinet und das Profisafe-Protokoll parallel zum regulären Datenverkehr über herkömmliche Standardkabel geführt. Sämtliche Busteilnehmer sind dazu durchgängig über echtzeit-/profinetfähige Switches aus dem Scalance-Spektrum von Siemens vernetzt. Die Not-Halt-Taster an den Bedienpulten sind nun den aktuellen Vorschriften entsprechend zweikanalig ausgeführt und ebenfalls über flexibel nutzbare Busleitungen angebunden. Um auch beim Bedienen und Beobachten wieder up-to-date und zukunftssicher zu sein, wurden die alten Textdisplays in der Linie durch grafikfähige Simatic Multi-Panels MP377 Touch der jüngsten Generation ersetzt und eine Bedienoberfläche unter Simatic WinCC flexible generiert. Die Bedienpulte mit den 12\“-Multi-Panels (Bild 2) können bei Bedarf pneumatisch nach unten verfahren werden. So lässt sich der Befüllprozess komfortabel initiieren und an der Montagelinie überwachen. Bei voller Auslastung der Linie sind vier Befüllanlagen im Einsatz, eine ist immer in Reserve. Neu hinzugekommen ist ein zusätzliches Simatic Multi Panel MP377 Touch (15\“-Display) im neuen Schaltschrankfeld, womit zentral die Betriebszustände, Alarm- und Fehlermeldungen aller fünf Befüllanlagen angezeigt werden können. Aus Zeit- und Kompatibilitätsgründen hat Volkswagen das Antriebssystem gewechselt und Frequenzumrichter der Baureihe Sinamics G120 mit profinetfähiger, fehlersicherer Control Unit CU240E-2 PN-F von Siemens eingesetzt. Die Umrichter sorgen zum einen dafür, dass die Befüllsysteme unabhängig voneinander immer exakt synchron zur Liniengeschwindigkeit bewegt werden. Die SPS erhält dazu das Analogsignal eines Drehgebers und wandelt dieses in die Sollvorgaben für die Umrichter um. Darüber hinaus lassen sich mit der fehlersicheren Control Unit auch sicherheitsgerichtete Aufgaben direkt im Antriebssystem umsetzen, was zusätzliche Sicherheits-Hardware, Verdrahtungsaufwand und auch Zykluszeit spart. Die sicherheitsgerichteten Signale werden einfach über das Profisafe-Telegramm über die normale Profinet-Leitung übertragen. Bei diesem ersten Projekt wurde die Sicherheitsfunktion STO (Safe Torque Off) genutzt. Diese gewährleistet ein sicher abgeschaltetes Drehmoment zum Schutz gegen eine aktive Bewegung des Antriebs nach einem sicherheitsrelevanten Abschalten (Not-Halt). Für künftige Anwendungen stehen darüber hinaus die folgenden erweiterten Sicherheitsfunktionen zur Verfügung:

  • SS1 (Safe Stop 1) – Sicheres Stillsetzen
  • SLS (Safely Limited Speed) – Sicher begrenzte Geschwindigkeit, zur Überwachung von projektierbaren Geschwindigkeitsgrenzwerten, beispielsweise beim Einrichten ohne Zustimmtaste
  • SDI (Safe Direction) – Sichere Drehrichtung; stellt sicher, dass der Antrieb nur in die angewählte Richtung drehen kann
  • SSM (Safe Speed Monitor) – Sichere Geschwindigkeitsüberwachung; liefert ein sicheres Ausgangssignal, wenn die Geschwindigkeit des Antriebs unter einem projektierbaren Grenzwert liegt

Die modularen Umrichter Sinamics G120 reduzierten auch die Komplexität der Anlage und den Platzbedarf im Schaltschrank deutlich (Bild 3), unterstreicht der verantwortliche Projektleiter Dipl.-Ing. Dariusz Gillner von der Abteilung Automatisierungs- und Prüftechnik (PWG/E) im Werk. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmt, sodass auch die kaufmännische Seite keine Einwände hatte.

Zufriedenheit macht Lust auf mehr

Die Umrüstung der Kältemittelbefüllung ist erwartungsgemäß ohne Schwierigkeiten und Verzögerungen abgelaufen und die Anlage konnte termingerecht wieder in Betrieb genommen werden. Seither gab es keine damit verbundenen Produktionsstillstände, die Prozesse laufen stabil und die Verfügbarkeit der Befüllsysteme ist auf höchstem Niveau. Zudem ist die Ersatzteilversorgung wieder über Jahre hinaus gesichert. Die durchwegs positiven Erfahrungen und Ergebnisse haben die Verantwortlichen bei Volkswagen dazu veranlasst, mittlerweile eine weitere Montagelinie nach dem bewährten Muster mit durchgängiger Automatisierungstechnik vom selben Anbieter zu modernisieren.

Siemens AG
http://www.siemens.de

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